Im Interview: Sexualtherapeutin und Impulsgeberin Claudia Pesenti-Salzmann

15.05.2019

Viele schauten mich etwas komisch an, als ich mit der Ausbildung in klinischer Sexuologie startete. Eine Pflegefachfrau und dazu noch aus der Palliative Care? Sonst machen das doch Fachpersonen aus der Psychologie oder der Medizin...

Ich konnte auf meine Lebens-und Berufserfahrung aufbauen. Ausserdem hat sich meine Devise, dass eine fördernde Veränderung nicht nur im Kopf sondern auch durch die Einbindung des Körpers und die Emotionen herbeigeführt wird, auch bei der sexuologischen Arbeit bestätigt.

Ich darf mich auf ein breites medizinisches Wissen und viel Erfahrung stützen und kontinuierliche Fortbildung hält mich auf dem Laufenden.

Mein Ansatz ist ganzheitlich. Wir sind Körper, Geist und Seele und haben eine einzigartige Lebensgeschichte. Das bedeutet ich erfasse Ihre individuellen Bedürfnisse und Ressourcen, stärke und unterstütze Sie, damit Sie auf Ihrem neuen Weg dahin kommen, wo Sie wollen.

Liebe Frau Pesenti, Sie sind seit vielen Jahren als Sexualtherapeutin tätig. Können Sie uns kurz einen Überblick über Ihren Werdegang geben und erklären, was Sie dazu bewogen hat, diesen Weg einzuschlagen?

"Seit 30 Jahren bin ich Pflegefachfrau und in den letzten 17 Jahren war ich
sehr engagiert in der Betreuung von Menschen, die eine fortschreitende chronische Krankheit haben. In der Palliative Care ist die ganzheitliche Begleitung besonders wichtig und alle Interventionen sind darauf ausgerichtet den Menschen zur bestmöglichen Lebensqualität zu verhelfen. Mir fehlte jedoch ein ganz existenzieller Aspekt:
die Sexualität - dazu gehört z.B. Frausein/Mannsein/sexuelles Wesen sein, Identität, Selbstbild, Körperbild, Erotik, sexuelle Aktivität. Ich erlebte in der pflegerischen Betreuung und auch in Gesprächen im privaten Kreis, wie sehr sexuelle Themen die Menschen belasten, und wie sehr sie das in ihrem Wohlsein und der Lebensqualität beeinträchtigen kann. Das war, mitunter, Ansporn in diesem Fachbereich eine Ausbildung zu machen und dem Lebensthema Sexualität mit all seinen 1000 Facetten Stimme und Raum zu geben. Seit 2011 führe ich eine Praxis in Locarno und seit Januar 2018 auch in Luzern."

Mit welchen Problemen und Anliegen kommen die Menschen zu Ihnen?

"Zu mir kommen Menschen ab 18 Jahren bis ins hohe Alter, alleine oder als Paar, die zu vielfältigsten Themen Herausforderungen erleben und diese überwinden wollen. Oder, sie möchten einfach gerne Mal offen und ohne Angst vor Ver-Urteilung über ihre Art Sex zu (er)leben sprechen.


Eine Herausforderung kann emotional, wie auch auf der Funktionsebene sein. Bei Männern sind das oft Sorgen zu Erektion und/oder Ejakulation. Bei Frauen sind häufig Genitalschmerzen und Themen um den Orgasmus eine grosse Belastung. Viele meiner Klientinnen*en leiden auch - unabhängig von Alter und Gender - an Libidomangel. Anderes, wie Schwangerschaft/(neue) Elternschaft, Menopause/Andropause, natürliches Altern, Krankheiten, deren Therapie oder Behinderung sind ebenso oft besprochene Aspekte, weil sie Einfluss auf Körperfunktionen, das Erleben der Sexualität und die Beziehung haben. Da ist es toll schon präventiv unterstützen zu dürfen. Was mich besonders freut sind Beratungen in der Art von "bei mir/uns läuft es befriedigend und schön, doch was kann noch getan werden, um die Partnerschaft und die sexuelle Beziehung zu sich selbst oder zu Partner*in zu bereichern?"


Wenn Kliniken oder Langzeitinstitutionen auf mich zukommen, geht es meist um die Beratung für Patientinnen*en, bzw. Bewohner*innen oder sie buchen Schulungen, damit sie mit dem Thema Sexualität in der Betreuung besser umgehen können."

Viele schieben die Schuld an mangelndem Lustgefühl ihrem Partner zu...

"Grundsätzlich ist jeder Mensch selbst verantwortlich für seine Lust und das sexuelle Erleben. Das heisst jedoch nicht, dass jemand deswegen rücksichtslos ist oder, dass das gemeinsame Erleben keinen Einfluss hat. Im Gegenteil. Es geht eher darum, dass es oft einfacher ist, den Grund beim anderen zu suchen, egal in welchem Lebensbereich, als genauer bei sich selbst hinzuschauen.
Oft hängt mangelnde Lust mit Angst vor, oder der erlebten Zurückweisung zusammen und das ist eine emotionale Herausforderung für jeden Menschen. Das nagt meist am Selbstwert. Leidet dieser, hat das Auswirkung auf das sexuelle Wohlsein und zieht noch andere Lebensbereiche mit sich. Ausserdem denken viele, weil Sexualität etwas natürliches ist, können wir sie auch ganz natürlich leben. Tatsache ist jedoch, dass Sexualität etwas ist, das wir lernen dürfen. Das heisst also auch, wie zur sexuellen Lust Sorge tragen. Uebrigens, in der Sexualität lernt es sich nie aus, so wie im Leben."

Für viele Menschen ist "es" eher ein Thema, über das man ungern spricht. Wie kann man damit beginnen, sich mit sich selbst und seiner Sexualität zu beschäftigen?

"Das Unwohlsein in der Kommunikation ist nicht verwunderlich. Es wird uns selten von Kindesbeinen an beigebracht, was Sexualität wirklich alles bedeutet, und wie darüber zu sprechen.

Ein sehr sinnlicher und freudiger Weg ist, die eigene Sexualität über den eigenen Körper zu erforschen. Das heisst, sich selbst am ganzen Leib achtsam zu berühren, auf verschiedenste Art, und nicht nur an Brustwarzen und Genitalien. Wir sind von Kopf bis Fuss eine erogene Zone, weil die Haut unser wichtigstes und grösstes Sinnesorgan ist. Bei diesem Erkunden ist eine erwartungslose Haltung sehr hilfreich, denn wo keine Erwartungen sind, kann freier und intensiver wahrgenommen werden. Das erweitert das Empfindungspotential, nährt die Seele und ist (woll)lustfördernd."

Ab wann spricht man eigentlich von einer sexuellen Störung?

"Wir wissen heute, dass die sexuelle Gesundheit und das sexuelle Wohlsein Auswirkungen haben auf unseren privaten und beruflichen Alltag, den Selbstwert, also die Beziehung zu sich selbst, das Selbstvertrauen, die Partnerschaft und allgemein auf die Lebensqualität. Somit ist es eine gute Idee, sich mit den verschiedenen Facetten der eigenen Sexualität zu befassen und auch abzuwägen, ob es nicht Sinn macht, sich für diesen Weg zu sich selbst, eine professionelle Beratung oder Begleitung zu gönnen."

Wie gestaltet sich eine Beratung, wenn ich zu Ihnen komme? Was erwartet mich - auch in der Umsetzung zu Hause?

"Ein unverbindliches Telefonat gibt etwas Aufschluss über die Themen, ist ein "Abtasten". Beim ersten Beratungsgespräch - ich bin an die Schweigepflicht gebunden - geht es darum Sie kennen zu lernen und Ihre Bedürfnisse, Sorgen, Fragen, das Umfeld, die Biographie und - ganz wichtig - die Ressourcen zu erfassen. Die gilt es ja dann auch zu fördern. Emotionen abholen und diese, wie auch Wünsche zu legitimieren, sowie Wissen oder Informationen zu checken, bzw. zu ergänzen gehören auch dazu. Am Ende des ersten Termins gebe ich Ihnen praktische Tipps und, wenn es mehr braucht kann ich Ihnen konkrete Lösungswege anbieten, die zu Ihren persönlichen (Teil)Zielen führen. Der Weg kann nur funktionieren, wenn Sie mitarbeiten und sich den Aufgaben alleine oder zu zweit auch wirklich stellen.


Manchmal sind das mentale Uebungen, Wahrnehmungsspiele, Lektüre, Körpererfahrungen, Integration von bekannten und doch neuen Aspekten, auch gemixt, je nach dem. Meine "Werkzeugkiste" enthält verschiedenste Tools und Ansätze, welche z.B. vom Counseling, Mindfulness, über Körperarbeit, bestimmte Produkte, zu Mindset oder Hypnose führen. Damit Ihre Ziele erreicht werden können, braucht es manchmal auch
andere Fachpersonen aus der traditionellen oder komplementären Medizin. Da bin ich dankbar um mein wertvolles Netzwerk."

Was gefällt Ihnen am meisten an Ihrem Beruf?

"Wenn es "menschelet" bin ich im Element und freue mich an dem, was ich bewegen kann, sei es bei persönlichen Beratungen, als auch durch Schulungen. Lebensaspekte wie Gesundheit, Krankheit und Sterben, sowie eben auch Sexualität finde ich sehr faszinierend. Diese intimen Themen berühren mich, weil durch sie das Leben autenthisch wahrnehmbar ist. Da fällt mir ein: Wussten Sie, dass die Franzosen den Orgasmus oft als "kleinen süssen Tod" bezeichnen?

Es macht Spass und gibt Zufriedenheit anderen zu helfen und dabei selbst auch weiter zu kommen. Stehen bleiben liegt mir nicht und, weil Sexualität mit so vielen Lebensbereichen verbunden ist, besteht da keine Gefahr. Das macht alles auch so flexibel, was für mich enorm wichtig ist. Ich bin auch sehr dankbar, dass ich ein mobiles und selbstbestimmtes (Berufs)Leben führen darf. Ich kann Beratungen oder Begleitungen, je nach Thema und Umstände, auch über Telefon oder Videocall ausüben."

Welche Ziele verfolgen Sie in der nächsten Zeit und was gibt es noch zu tun?

"Zu tun gibt es noch sehr viel und der Name meiner Firma "Impulsi" hat seinen Grund. Ich will Impulse geben, weil ich mir wünsche, dass die Menschen vermehrt ihre sexuellen Themen angehen, keine Angst haben darüber zu sprechen und ihre Sexualität dadurch entspannter und freudiger erleben dürfen. Das stärkt die Gesundheit, den Selbstwert und fördert die Lebensqualität.


Darum werde ich die Beratungsarbeit ausbauen und mit meinem pflegerisch-medizinischen Background noch mehr Menschen mit chronischen Krankheiten, einer Behinderung oder im Alter unterstützen. Es ist mein Ziel noch viel mehr Schulungen zu geben, damit immer mehr Fachpersonen im Gesundheitswesen mit Themen der Sexualität adäquat umgehen können und Institutionen sie standardmässig in ihre Betreuungskonzepte einschliessen. Um das zu verwirklichen bin ich sehr dankbar für Empfehlungen zu Akut-und Langzeitinstittuionen, wie auch Bildungsstätten und Vereinigungen im Sozial-und Gesundheitswesen.

Meine Vision ist, dass in der Gesellschaft eine förderliche Haltung und eine wertefreie Kommunikation zu Sexualität und ihren 1000 Facetten die Norm sind."

"Sexualität ist eine Ressource und die wertvollste vitalisierendste Energie, die wir selbst in uns erzeugen können."

Kontakt

Claudia Pesenti-Salzmann

6020 Emmenbrücke, Untere Wiese 7

6600 Locarno, Via Familia Trevani 1

Tel: +41 79 655 55 67

Mail: info@impulsi.ch